Diese “Villa”, sie wird heute noch im Volksmund Baumann-Villa genannt, befindet sich an der Ecke Mariahilfbergweg und Kaiser-Ludwig-Ring.

 

Auch die Vorgeschichte der Bebauung des Grundstücks ist nachvollziehbar. Am 17. Juni 1863 hat Herr Nickel, Gewehrfabrikarbeiter, die Bebauung seines Gartens beantragt. Im Plan ist die Funktion der Räume genau beschrieben. Im Erdgeschoß sind zwei Familien (2 Küchen) und im Obergeschoß hat wahrscheinlich die Familie Nickel selbst gewohnt. Das Schlafzimmer ist als Durchgangszimmer zwischen Wohnzimmer und Salon positioniert. Vielleicht war das Wohnzimmer mehr für die Frauen und der Salon für die Männer. An der Küche befindet sich die Magdkammer neben Vorratskammer. Die Massangaben erfolgen in “bayr. Fuß” - die Einheiten m,kg usw. hatten sich noch nicht durchgesetzt.

Exkurs: 1 bayerischer Fuß = 0,2918 Meter. Metrische Einheiten haben sich seit der Einführung des ersten wohldefinierten Systems 1791 in Frankreich über die ganze Welt verbreitet, zunächst in den nicht englischsprachigen Ländern, aber in letzter Zeit auch dort.Das metrische System wurde in Frankreich nur langsam angenommen, aber Wissenschaftler und Techniker hielten seine Einführung als internationales System für wünschenswert. Am 20. Mai 1875 wurde ein internationaler Vertrag, die Meterkonvention, von 17 Staaten unterzeichnet. Verschiedene Organisationen und Laboratorien wurden gegründet, um ein einheitliches System zu schaffen und bewahren. (Quelle wikipedia)

1863 Bauplan von Gewehrfabrikarbeiter Nickel
1863 Bauplan von Gewehrfabrikarbeiter Nickel

Jedes Stockwerk hat ein WC. Direkt neben der Eingangstür befindet sich die Schwindgrube - also die Sickergrube für die Abwässer.

Der Bauantrag war der zweite Anlauf, da Herr Nickel nun die Stellung des Hauses im Plan verändert hat:
Bemerkung auf Bauplan:

Erinnerung der staatlichen Baucomision
Wird gegen diesen Neubau nach dem vorgelegten Plane nicht erinnert.
Amberg den 22. Juni 1863

Bauplan Nr 5913
Bauantrag 22. Juni 1863

Zum Kgl Regierung der Oberpfalz
Neuhausbau
des Gewehrfabr. Arbeiter Josef Nickel
dahier

Der xxx. Bauplan in Duplo mit darauf angefügten Situationsplan wird anliegend zur hohen Bescheidung mit dem Bemerken gehorsamst vorgelegt, daß mir die Localbaucom so auch der Magistrat gegen dieses Baugesuch im Januar nun nach der Stellung des zu bauenden Hauses gar keine Erinnerung zu machen hat.

Am 28. August hat Herr Nickel einen neuen Antrag zur Fällung von Bäumen gestellt. Man sieht die Verwaltungsvorgänge verändern sich doch nicht so gravierend. Beschlossen wurde so etwas von der Verschönerungscommision. Am 28.10.1863 genehmigt sie die Fällung der Bäume.

Bem. an die Verschönerungskomission zur … Günther

Löblicher Stadtmagistrat!
Gehorsamste Bitte
Des Gewehrfabrikarbeites und Hausbesitzers Joseph Nickel dahier
dann des Apellationsgerichtsrates Örthel
daelbst als künftiger Mieter des Obigen
die Entfernung auf Gemeindegrund stehender Bäume betreffend

Dem nebenbezeichneten Hausbesitzer Nickel wurde von Seite eines löblichen Stadtmagistrates die Erlaubnis zur Erbauung eines Hauses auf seiner in der Nähe der Allee gelegenen Grunde erteilt und ist der Bau soweit fortgeschritten, dass das Gebäude gewiss einen schönen Anblick gewährt, welcher durch die Herstellung einer moderneren Fassade noch erhöht werden wird.

Leider wird diese Fassade zum grossen Teil durch vier von derselben auf Gemeindegrunde stehenden Bäume verdeckt und zwar durch Bäume, welche wie der für die danebenliegende Allee noch für die Spaziergänger irgendeinen Wert haben. Dieselben sind zwei Pappeln und zwei gemeine Arkazien; sie sind nicht Bestandteile der Allee selbst, sondern nur eines Auslaufes derselben und der Richtung gegen den auf den Mariahilfbergweg führenden Weg.

Die Entfernung dieser vier Bäume wäre aus dreifacher Rücksicht sehr wünschenswert, den 1. würden das Haus und die Wohnungen desselben an frischer Luft gewinnen.
erstens würde der Anblick des Hauses welcher noch durch Anlage eines an der Fassade des Hauses liegenden Gartens verschönert werden wird, jeden Spaziergänger angenehmer sein als der trostlose Anblick zweier kleiner schattengewährenden hohen Pappeln und zweier mit schlechter Kronen versehenen Akazien,
Könnten nach Entfernung dieser 4 Bäume der zwischen dem Grundbesitze des Herrn Nickel und der Allee hinführende sehr schmale Weg nicht nur trockener gelegt, sondern auch durch teilweises Abtragen des Rangen, auf welchen die Bäume setehen, bedeutend erweitert werden.
Die Entfernung genannter Bäume bietet also nicht nur den gehorsamst Unterzeichneten Bittstellern sondern auch der Stadtgemeinde große Vorteile. Die gehorsamst Unterzeichneten erbieten sich die Kosten der Fällung zu übernehmen, das gefällte Material aber an die magistratische Stadtkämmerei abzugeben, und stellen nun die gehorsamste Bitte  ein löblicher Stadtmagistrat wolle in baldem die Gennehmigung hierzu erteilen
Mit ausgezeichneter Hochachtung des Stadtmagistrats
Gehorsamst
Joseph Nickel
Oertel

Beschluß der Verschönerungs-comision
Nach einstimmigen Gutachten der anwesenden Mitglieder der Verschönerungscomision sind die 6 Bäume nämlich, 3 Akazien und 3 Pappeln des vormals Konditor Dienerschen Garten nicht nur überflüssig sondern sogar störend weil sie besonders im Zustand der Belaubung von der Promenade aus gegen den südlichen Abhang des Mariahilfberges die Aussicht hindern und ebenso die Ansicht des Neubaus des Gewehrfabrikarbeiters Nickel stören, gleich wie auch sie keinen wesentlichen Schatten gewähren und derselbe von der Ostseite her durchaus unnötig ist. Die Verschönerungscommision ist daher mit deren Entfernung einverstanden und würde es für den Postweg dringend notwendig, wenn nach Entfernung dieser Bäume der zwischen den fraglichen Garten und der Promenade laufende Weg wenigstens um 2 Schuh erweitert würde. Es wäre angemessen, wenn eine Böschung nach einwärts angelegt und mit Gebüschen und Sträuchen nach Art derjenigen zwischen den Ziegel und Marienthe.. bepflanzt würde.
Amberg 28.10.1863
Verschönerungscomision

1878 Antrag für Nebengebäude von Andreas Lehner
1878 Antrag für Nebengebäude von Andreas Lehner

Vor 1878 scheinen sich die Besitzverhältnisse geändert zu haben, jedenfalls beantragt jetzt Andreas Lehner den Bau eines Nebengebäudes (im Plan "Neubau"). Das Nebengebäude beinhaltet ein Wohnzimmer und eine Waschküche. Das Wohnzimmer ist wahrscheinlich für die Bediensteten.

1886 wird das Nebengebäude zu klein und erweitert. Das Wohnzimmer wird jetzt Bedienstetenzimmer genannt, dazu kommen Holzlege, Sattelkammer und Pferdestall.

1886 Bauantrag zur Erweiterung der Nebengebäude
1886 Bauantrag zur Erweiterung der Nebengebäude

1889 beantragt Adam Stark, Blecharbeiter, den Ausbau einer Dachwohnung im angrenzenden Grundstück.

1889 Bauantrag Adam Stark zum Ausbau der Dachwohnung
1889 Bauantrag Adam Stark zum Ausbau der Dachwohnung

Etwa 1895 werden die Gebrüder Baumann das Grundstück gekauft haben. Die bestehenden Gebäude werden abgerisssen und durch Neubauten ersetzt.

1896 Antrag zum Bau der Nebengebäude
1896 Antrag zum Bau der Nebengebäude

Kurz danach im März 1896 wird der Plan der Villa eingereicht. Als Baumeister steht Carl Müller.

Carl Müller war Baumeister und war stark in den Bautätigkeiten der Firma involviert. Die Sommervilla von 1890 wurde von ihm gebaut.

Bauantrag für den Bau einer Villa (Baumeister Carl Müller) 1896
Bauantrag für den Bau einer Villa (Baumeister Carl Müller) 1896

Irgendetwas muß passiert sein, denn die beiden Anträge werden nicht gebaut. Stattdessen werden im Juni 1896 neue Anträge gestellt, die dann gebaut wurden (L 24m x B 19m x H 17m).
Als Architekt steht auf den Plänen: Architekt David Röhm’sches Baubureau, Nachfolger: Hans Müller Architekt aus Nürnberg. Hans Müller hat meines Wissens keine Verwandtchaft mit dem Baumeister Carl Müller.
R: Ansicht von Norden
L: Ansicht von Südwest

Neuer Bauantrag jetzt von Architekt David Röhm’sches Baubureau, Nachfolger: Hans Müller 1896
Neuer Bauantrag jetzt von Architekt David Röhm’sches Baubureau, Nachfolger: Hans Müller 1896

Das Souterrain hat gerade noch Fensteröffnungen nach außen (so eine Art Keller mit Licht). Das Erdgeschoß hat 4 Wohnräume und 5 Nebenräume und Flur und Treppe. Der 1.Stock hat die gleiche Einteilung, da die Mauern aufeinander stehen. Das Dachgeschoß war offensichtlich ebenfalls ausgebaut allerdings ohne Plan - dort wohnten die Bediensteten. Die Nutzfläche ist etwa 350qm. Es gibt 13 Kaminzüge, jeder Zug wurde in jedem Stock benutzt. Also wahrscheinlich waren 26 Brennstellen im Haus. Also insgesamt hat das Haus etwa 900 qm Nutzfläche (ohne Souterrain), etwa 25 Räume und etwa 30 Öfen gehabt.
Es existiert auch ein Entwässerungsplan, also die Kanalisation existierte bereits.

Bau des Haues (1896)
Bau des Haues (1896)
Wintervilla ca. 1900
Wintervilla ca. 1900

Etwa um 1900 wird dieses Bild entstanden sein. Auf der Rückseite steht “Gratuliere Prof. Dr. H. Stockmeier zur Beförderung herzlich”. Über Prof. Stockmeier ist nichts bekannt.
Es stehen noch keine Löwen am Eingang, vielleicht ist das Bild kurz nach der Erbauung aufgenommen.

Postkarte etwa von 1910
Postkarte etwa von 1910

Das ist eine Postkarte, die so um 1910 benützt wurde. Das Dach war begehbar mit einem Geländer. 

Meines Wissens wurde das Haus im Winter bewohnt, daher der Name Wintervilla. Es gibt nur sehr wenige Fotos von dem Haus.

1913 Blick auf das Krankenhaus und Wohnzimmer (Werner und Elsa)
1913 Blick auf das Krankenhaus und Wohnzimmer (Werner und Elsa)
Elsa (rechts) mit Werner 1913 (Frau links unbekannt)
Elsa (rechts) mit Werner 1913 (Frau links unbekannt)

Zitat aus einer Arbeit über Jugendstilbauten in Amberg “Die Funktionalität dieser Bauten war geringer einzustufen als die Repräsentation. So sind zum Beispiel die Nebenräume in Richtung Süden, während die Wohnräume zur dunklen Straße hin angeordnet sind. Der Zweck dieser Ausrichtung lag darin, die Arbeiter bei ihrem Marsch in die Fabrik beobachten zu können.” Ob dies eine Vermutung ist, oder durch Quelle bewiesen bleibt unklar. Mir erscheint dies zum Bereich Fabel zu gehören. Die guten Zimmer waren nach Süden und Westen ausgerichtet (also Mariahilfbergweg und Kaiser-Ludwig-Ring) - vielleicht wegen dem Licht der Sonne. Auch heute würde man so bauen.
Auf den Fotos sind die Fenster zur Strasse sind mit Jalousien verschlossen, vermutlich wollten sie eher nicht beobachtet werden.

Elsa steht mit Sohn Werner am Eingang. Löwen säumen den Eingang. 1913
Elsa steht mit Sohn Werner am Eingang. Löwen säumen den Eingang. 1913
1913  Werner auf einen Balkon Inschrift: “Bubi beim Spiel auf seinem Balkon”
1913 Werner auf einen Balkon Inschrift: “Bubi beim Spiel auf seinem Balkon”

Auf der Balkon Balustrade stehen Blumenkästen, während der Balkon selbst gefliest ist. Werner spielt mit natürlich emaillierten Förmchen.

 

Nach der Erinnerung meiner Mutter und von Sigi Bock hat Oskar Baumann nach dem plötzlichen Tod seiner Frau Elsa Baumann (Nov. 1914) die Wintervilla nicht mehr benutzt. Sie wurde danach vermietet. Die Mieter sind nicht mehr bekannt.

1959 Schriftverkehr Bauamt
1959 Schriftverkehr Bauamt

Die Wintervilla wurde von meiner Tante Elisabeth geerbt. 1959 existiert der letzte Briefverkehr im Namen von Elisabeth Baumann.

Später wurde das Haus an den Textilhändler Zweigenberg verkauft. Er hat das Inventar (ein Kachelofen von Meissen, sowie Türen) nach Haiffa verschickt (haben mir verschiedene erzählt).

2004 war in dem Haus eine Pizzeria (mit Holzvertäfelungen und guten Flair!) und oben darüber eine Spielothek (grausam). Das Haus hat inzwischen Herr Berger gekauft (nicht Ignaz Berger). Das Haus ist recht runtergekommen - dafür sind im Eingang noch die Malereien und Fenster (Zunftsymbol der Spengler) erhalten. Die Marmor-Treppe ist besonders schmal und elegant. Die Stufen sind wohl durchbohrt und mit einem Stahldraht zusammengespannt worden. Das Orginal-Geländer fehlt. Man sieht noch die Ösen für die Teppichhalter, offensichtlich lag da früher ein Läufer.

2004
2004
2004 Eingang mit Malerei
2004 Eingang mit Malerei
2004 Fenster mit Zunftsymbol der Spengler
2004 Fenster mit Zunftsymbol der Spengler
2004 Treppenhaus
2004 Treppenhaus